Vom Jagdtrieb, Reizen und Sequenzen
Es soll ja Hundehalter geben, die Hundeexemplare zuhause haben, welche bei herumhoppelnden Kaninchen, dem Reh auf dem Feld nebenan, am Boden hüpfenden Vögeln oder einer frischen Wildfährte nicht in Wallung geraten. Das Höchste der Gefühle ist ein müder Seitenblick, vielleicht auch ein kurzer Stopp, um den wilden Bewohnern der Natur andächtig hinterherzuschauen, wenn sie ihres Weges ziehen – das war es dann aber auch schon.
…und dann gibt es Hundeexemplare wie das, was ich mein Eigen nennen darf: Die, die sich als geborene Jäger fühlen und am liebsten allem und jedem hinterherjagen würden. Die richtig Extremen rasten bei jedem noch so kleinen Außenreiz aus und wollen durchstarten, die etwas Gesitteteren nehmen „nur“ dann Reißaus, wenn der Hase verführerisch vor der eigenen Nase von dannen sprintet oder werden allgemein wuschig, wenn Wild sichtig ist. Für uns als Hundehalter ist dieser Jagdtrieb in den meisten Fällen eher lästig, aber woher kommt es denn eigentlich, dieses Dilemma mit der Jagd? Und was kann ich tun, wenn mein Hund bei jeder Wildsichtung den Turbogang einlegt?

Das Thema Jagdverhalten ist unglaublich vielschichtig und umfangreich, so dass es noch den einen oder anderen Beitrag mehr dazu geben wird, um den Rahmen hier nicht gänzlich zu sprengen. Nicht umsonst sind über dieses Thema schon ganze Bücher geschrieben worden. Beginnen wollen wir heute mit den Fragen, woher der Jagdtrieb überhaupt kommt, was Reize damit zu tun haben und woraus so eine Jagdsequenz eigentlich besteht.
Jagdverhalten aus biologischer Sicht
Fakt ist: Auch nach Jahrhunderten der Domestizierung besitzen unsere Hunde von Natur aus einen angeborenen Jagdtrieb. Dieser macht biologisch gesehen auch absolut Sinn, denn ohne Jagdtrieb würde es in der freien Natur für einen Beutegreifer keine Nahrung geben und das wäre gleichbedeutend mit dem Tod.
„Futter“ ist neben „Freund“ und „Feind“ somit einer der drei Funktionskreise des Hundeverhaltens und beinhaltet den Nahrungserwerb durch Jagen und Sammeln.
nach Jaak panksepp
Die damaligen (Wild-)Hunde oder der Vorfahre Wolf hatten weniger Mülltonnen, Abfälle oder landwirtschaftlichen Nutztiere, an denen sie sich bedienen konnten. Wer sich nicht ins Zeug gelegt und erfolgreich gejagt hat, hat gehungert oder musste abstaubermäßig Aas finden und sich daran bedienen – also war die Jagd eine simple Naturregel zum Überleben. Hierfür greifen Hunde auf Such-, Erkundungs- und Neugierverhalten zurück.
Die Sequenzen einer Jagd
Jagen ist demnach erst einmal ein ganz natürliches Verhalten für unseren Hund.
Dabei besteht die Jagd aus unterschiedlichen Sequenzen, welche auch für das Training mit dem Hund von großer Bedeutung sind:
Dem Orientieren und Fokussieren, dem Beschleichen und Verfolgen, dem Festhalten sowie dem Töten, Zerlegen und Fressen als Abschlusssequenz.
Der Hund muss also erst einmal mithilfe seiner Sinne eine Spur erkennen und aufnehmen, beispielsweise über den Geruch einer frischen Fährte oder Laute von Wild in der Umgebung. Er muss dieser Spur mit seinen Sinnen nachgehen und das Wild aufstöbern. Jetzt folgt eine mehr oder weniger lange Phase des Belauerns, um anschließend in die Phase überzugehen, die uns Hundehalter in Angst und Schrecken versetzt: Das Verfolgen und Hetzen. Der Hund verfolgt seine Beute also im Schweinsgalopp über Stock und Stein mit dem Ziel, es zu packen. Die abschließenden Sequenzen Töten und Fressen erklären sich von selbst und bilden für den Jäger den erfolgreichen Abschluss einer Jagdsequenz.

Je nach Rasse und Charakter des Hundes sind der Jagdtrieb allgemein sowie die einzelnen Sequenzen unterschiedlich stark ausgeprägt. Wildhunde wie der Australische Dingo zeigen die jeweiligen Sequenzen beispielsweise in einer sehr ausgewogenen Art und Weise. Hunde, die dafür gezüchtet wurden, den Menschen bei der Jagd zu unterstützen, besitzen naturgemäß einen stärkeren Jagdtrieb als Rassen, die selektiv für andere Zwecke wie Schutz gezüchtet wurden. Jagdhund ist jedoch nicht gleich Jagdhund, auch hier gibt es starke Unterschiede je nach Verwendungsart während der Jagd: Soll der Hund unter der Flinte stöbern und Wild aus dem Bewuchs herausdrücken, ohne es jedoch zu verfolgen, damit der Jäger den Schuss ansetzen kann? Muss er geduldig warten, bis das Wild geschossen wurde, um es dann an der Fallstelle aufzustöbern? Soll er erlegtes Wild packen und ohne Beschädigungen apportieren? Darf er das Wild systematisch und schnell orten, um dann vorzustehen und die Position des Wilds an den Jäger zu übermitteln?
Unterschiedliche Jagdhunde haben also unterschiedliche Jobs – und entsprechend ihres Jobs werden sie ein unterschiedlich starkes Interesse an den einzelnen Jagdsequenzen zeigen beziehungsweise in Zucht und Training diesbezüglich gefordert und gefördert werden. Pointer und Setter sind beispielsweise agile Hunde, die besonders Federwild durch schnelle Quersuchen orten und vorstehen, ohne zu verfolgen. Retriever brennen für das Apportieren, also das Packen und Bringen, und warten geduldig, bis der Schuss angetragen wurde. Sie merken sich Fallstellen, um das geschossene Wild anschließend zu apportieren oder werden vom Jäger an einer Fallstelle eingewiesen. Teckel und Terrier sind eher eigenständige Jagdhelfer, die sowohl unter als auch über der Erde agieren und Wild aufstöbern. Dabei werden frische Spuren und Fährten von ihnen laut und nachdrücklich angezeigt. Kaum jemand ist schneller als ein Galgo oder Podenco im vollen Galopp, so dass diese Windhunderassen ideale Kandidaten zum Hetzen und Packen der Jagdbeute sind. Verschiedene Rassen bringen also unterschiedliche Talente oder Vorlieben mit sich.

Warum Jagen selbstbelohnend ist
Ein Fakt, der für uns extrem relevant für das Zusammenleben und Training mit einem jagdaffinen Hund ist: Jagen ist aufgrund der Hormonausschüttungen im Körper während der jeweiligen Sequenzen extrem selbstbelohnend! In allen Jagdsequenzen wird Dopamin ausgeschüttet und das Erregungsniveau so im Verlauf der Jagd immer weiter gesteigert, damit für die finalen Sequenzen Töten und Zerlegen ein ausreichend hohes Erregungslevel vorhanden ist. Das Vertilgen der Beute bildet den Abschluss und sorgt durch die Ausschüttung von Endorphinen nicht nur für Zufriedenheit, sondern auch für das Herabsinken des Erregungsniveaus und ein Ende der Jagd.
Dopamin erhöht das Erregungsniveau und steigert dieses bis zum Töten und Zerlegen, Endorphine während des Vertilgens senken das Erregungsniveau wieder herab.
Auch ohne einen „richtigen“ Jagderfolg am Ende erlebt der Hund während der einzelnen Jagdsequenzen zuvor durch die Dopaminfreisetzung also bereits ein absolutes Hochgefühl. Das Kaninchen muss also nicht im Fang landen, damit der Hund sich richtig super fühlt, denn Aufstöbern, Belauern und Hetzen sorgen schon für einen immensen Dopaminkick und den Wunsch nach „Nochmal!“.
Damit erklärt sich also schon einmal die Frage vieler Hundehalter, warum Wuffi einfach immer und immer wieder bei Wild durchstartet, obwohl „er doch eigentlich genau weiß, dass er das nicht soll!“ – weil Wuffi’s Gene, die euphorisierende Wirkung des Dopamins und vielleicht auch seine Erfahrung aus bereits vorangegangenen Jagdabenteuern ihm nun einmal sagen, dass Jagen geil ist und glücklich macht.
Reize über Reize
Wir als Menschen müssen uns beim Thema Jagd außerdem immer wieder vor Augen führen, wie viel mehr unsere Hunde im Alltag wahrnehmen: Der Geruchs- und Gehörsinn unserer Vierbeiner ist den unseren um Längen überlegen und viel feiner ausgeprägt, auch die Dämmerungssicht schlägt unsere deutlich. Die Sinnesorgane unserer Hunde reagieren entsprechend der biologischen Notwendigkeit auf zur Jagd passende Aulöserreize: Optische Signalbilder, Bewegungen und Beuteschemata über die Augen, Witterung, Fährten, Geläufe über die Nase sowie akustische Reize über die Ohren.

Sensible Sinnesorgane bedeuten automatisch auch mehr Sinneswahrnehmungen – im Falle unserer Hunde also nahezu permanente Reize aus der Außenwelt, die gefiltert und verarbeitet werden müssen. Neue Reize fordern neue Entscheidungen, die dem Hund nicht immer leicht fallen. Oftmals überschneiden Reize sich innerhalb der drei Verhaltenskreise „Futter“, „Freund“ und „Feind“. Es können Motivationskonflikte entstehen und, wenn wir als Hundehalter eingreifen und beispielsweise über die Leine bestimmte Entscheidungen hemmen oder verhindern (wie das Durchstarten im Rahmen einer Jagdsequenz), auch Frust.
Feine Sinne bedeuten, dass es unseren Hunden leicht fällt, viele Spuren wahrzunehmen und darunter verheißungsvolle Spuren zu erkennen, die eine selbstbelohnende Jagd versprechen. Die nächste Jagd beginnt also vielleicht nur einen Schnüffelstoß entfernt am nächsten Baumstamm, an dem wir selbst ahnungslos vorbeischlendern, weil unsere vergleichsweise stumpfen Menschensinne so gar nicht mithalten können.
Jagen für alle!
Fassen wir zusammen: Auch unsere „Alltagshunde“ daheim, die von uns nicht zur Jagd auserkoren wurden, sondern für gesittete Spaziergänge durch Wald und Felder besitzen naturgemäß einen Jagdtrieb und haben je nach Charakter und Rasse ihre „Vorlieben“ für bestimmte Jagdsequenzen. Emmi beispielsweise findet das Fokussieren und Aufstöbern zwar ganz nett und umso besser, je frischer die Spur ist, aber so richtig in Wallung kommt sie bei sichtigem Wild, wenn es direkt ins Hetzen übergehen kann. Bäm, Hundeparty! Der Hund einer Freundin ist hingegen der geborene Apportiermeister und würde jedes Kaninchenbaby, das ihm aus Versehen vor die Pfoten fällt, gewissenhaft anschleppen und dabei zum Glücksbärchi mutieren. Ein anderer Hund im Freundeskreis liebt Lauerspiele über alles und könnte stundenlang an einem Objekt seiner Begierde vorstehen, weil ihm dieses Verhalten extreme Befriedigung verschafft – und damit sind wir beim Stichwort Bedürfnisbefriedigung.
Was das Befriedigen von Bedürfnissen und die Kontrolle von durch Außenreize entstehenden Impulsen für unsere Hobby-Jagdhunde und uns Hundehalter bedeutet, werden wir im nächsten Beitrag zum Thema Jagd angehen.
Wau, stay tuned!
Absolut klasse geschrieben!