Vielleicht kommt euch die folgende Situation bekannt vor: Ihr habt die Entscheidung gefällt, dass ein Hund bei euch einziehen wird und teilt eurem Umfeld freudig die frohe Kunde mit. Oder aber ihr seid mit eurem Hund auf der Straße oder dem Hundeplatz unterwegs und werdet auf die Rasse angesprochen, woraufhin ihr vermutlich entweder mit „Das ist ein Mischling“ oder „Das ist ein „Rasse xyz““ antwortet.  Als Reaktion auf eure Bekanntgabe des baldigen Familienzuwachses oder dem Bekenntnis zum (Nicht-)-Rassehund folgt dann gerne mal dieser Satz:

Mischlinge sind viel gesünder als Rassehunde!

Gerne wird die Aussage auch als wohlgemeinter Ratschlag („Hol dir lieber einen Mischling! Ich hatte immer welche und die sind alle steinalt geworden!“) oder anerkennendes Lob verpackt („Ach, ist ein Mischling? Ja, die leben ja eh viel länger! Gute Wahl!“) oder die eigene Entscheidung für einen Hund vom Züchter missbilligend in Frage gestellt („Ach, die Hunde vom Züchter sind doch alle total krankgezüchtet! So einer käme mir niiie ins Haus!“).

Mischlinge leiden seltener an Krankheiten, sind robuster und sehen den Tierarzt in ihrem Leben höchstens mal zum Impfen – so zumindest der weit verbreitete Mythos. Als Begründung hierfür wird hervorgebracht, dass Mischlinge einem größeren Genpool entstammen als Hunde aus reinrassigen Züchtungen. Hierdurch soll die Gefahr für inzuchtbedingte Krankheiten, Fehlbildungen oder Erbkrankheiten verringert sein. Klingt erst einmal logisch, ist aber in der Realität gar nicht so einfach, denn: Genetik und Vererbung sind keine einfache Plus-Minus-Rechnung und zwei gesunde Elterntiere bringen nicht automatisch auch gesunden Nachwuchs hervor – und umgekehrt.

Eine englische Studie aus dem Bereich „Canine Medicine and Genetics“ hat schön beschrieben, worauf sich die Vorurteile gegenüber Rassehunden stützen: In den letzten Jahrhunderten der Mensch-Hund-Beziehung wurden viele Hunderassen auf Grundlage der Selektion nach bestimmten körperlichen oder verhaltensbedingten Merkmalen gezüchtet. Wünschenswerte Eigenschaften sollen also beibehalten werden, manchmal werden dabei durch das Festlegen strikter Familienlinien und begrenzter Genpoole jedoch ungewollt krankheitsverursachende Gene innerhalb der Rasse fixiert. Wenn eine Rasse aus einer kleinen Anzahl von Hunden erweitert wird und einer oder mehrere dieser Hunde Krankheitsgene in sich tragen, wird die Häufigkeit dieser Krankheit in der nachwachsenden Population zunehmen – der „krankgezüchteten Rassehund“ entsteht.

Durch menschliche Vorlieben wurden Hundepopulationen getrennt und geschlossene Zuchtpopulationen erschaffen, welche mit einem hohen Maß an phänotypischer Homogenität und möglichst keiner genetischen Beimischung außerhalb der Gründungspopulation erhalten wurden.

„The challenges of pedigree dog health: approaches to combating inherited disease“ von Lindsay Farell, Jeffrey Schoenebeck, Kim Summers u.a.

…oder vereinfacht gesagt: (menschengemachter) Verlust genetischer Vielfalt für den Erhalt bestimmter favorisierter Merkmale. In vergangenen Zeiten ging es in der Hundehaltung vor allem um Arbeitshunde, die ihren Job möglichst gut und effizient durchführen sollten. Als der Hund immer mehr als Begleit- und Haustier und weniger als Arbeitstier verwendet wurde, legte die Zucht mehr Wert auf ästhetische Merkmale. Diese künstliche Selektion des Menschen anhand bestimmter äußerer Merkmale umgeht dabei die natürliche darwinistische Selektion. Sehr deutlich zeigt sich dies bei den Rassen, die eine Selektion auf übertriebene Phänotypen durchlebt haben, beispielsweise brachyzephale Rassen mit extremen Schädelformen- und Größen oder Rassen, die auf eine extrem große oder extrem kleine Wuchsform abzielen. Ist es also doch berechtigt, das Bashing der Rassehunde?

Es muss tatsächlich erst einmal festgestellt werden, dass manche Hunderassen eine deutlich kleinere Genvielfalt aufweisen als andere, wodurch die Gefahr für erbbedingte Krankheiten ansteigen kann. Dies lässt sich jedoch nicht verallgemeinern und auf alle Rassen gleichermaßen übertragen. Viele Hunderassen haben sich durch umfangreiche Beimischungen einen vielfältigen Genpool erhalten können oder erfuhren in den vergangenen Jahren durch Fortschritte in der Medizin und Gendiagnostik eine Vergrößerung des Genpools. Zuchtstrategien wurden und werden überarbeitet, um die Rassegesundheit zu verbessern und viele gute Züchter achten sehr auf die Gesundheit ihrer Zuchttiere und nehmen die vielfältigen Angebote zur Diagnostik von Erbkrankheiten wahr. Erkrankte Hunde oder Träger bestimmter Gene werden von verantwortungsvollen Züchtern von der Zucht ausgeschlossen und unerwünschte Veranlagungen mittels Gesundheitsdiagnostik überprüft.

Weiterhin muss festgehalten werden, dass der Verlust genetischer Vielfalt und das Vorhandensein von Inzucht nicht automatisch ein erhöhtes Auftreten von Erbkrankheiten oder schlechter Gesundheit bedeuten. Eine schwedische Studie konnte diesbezüglich feststellen, dass ein moderates Maß an Inzucht keine Hauptursache für eine schlechte Gesundheit bei einer Reihe von Hunderassen ist.

Eine weitere in England durchgeführte Studie beschäftigte sich mit der Annahme, dass die Gesundheit reinrassiger Hunde zunehmend durch das Auftreten von Erbkrankheiten beeinträchtigt wird. Mittels einer Analyse klinischer Daten aus Veterinärpraxen wurden die elektronischen Patientenakten von über 148.000 Hunden gesammelt. Anschließend wurden Zufallsstichproben von fast 4.000 Hunden aus 89 Kliniken und Praxen ausgewertet. Das Ergebnis: Unter den 20 am häufigsten erfassten Krankheiten hatten reinrassige Hunde lediglich bei drei Erkrankungen eine signifikant höhere Prävalenz im Vergleich zu Mischlingshunden (Otitis, Übergewicht und Massenläsion der Haut). Jedoch wurde auch festgestellt, dass rassebedingt bestimmte Krankheitsbilder häufiger auftraten.

Prevalence of Disorders Recorded in Dogs Attending Primary-Care Veterinary Practices in England (https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0090501)

Die aktuelle Studienlage aus unterschiedlichen europäischen Ländern sowie die Ansicht vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte sind sich also ziemlich einig: Mischlinge können ebenso erbbedingte Krankheiten wie Rassehunde entwickeln und sind nicht zwangsweise weniger oft beim Tierarzt. Denn größerer Genpool hin oder her: Auch ein Mischlingshund ist nur so gesund wie seine Eltern und seine vorherigen Vorfahren. Oftmals lässt sich nicht vorhersagen oder nachvollziehen, welche genetischen Veranlagung aus dem großen Genpool der Mischlingshund tatsächlich erbt. Besonders wenn über die Elterntiere keine Informationen vorliegen, lässt sich somit nicht vorhersagen, ob der Mischling krankheitsanfälliger oder gesünder ist als ein Rassehund – ein besonderes Problem bei Auslandshunden, über deren Vorgeschichte in der Regel wenig bekannt ist.

Korrekt ist allerdings, dass einige Hunderassen anfälliger für bestimmte Krankheiten sind – die sogenannte Rassedisposition. Um nur zwei gängige Beispiele zu nennen: Bei den größeren und schwereren Hunderassen sind dies häufig Gelenk- und Hüftprobleme oder Krankheiten des Bewegungsapparates, brachyzephale Rassen leiden häufiger unter Atemwegserkrankungen und Atemnot.

Mischling, interessiert sich nicht für den Mythos und ist trotzdem krank

Mischlinge sind also weder krankheitsanfälliger noch gesünder als ihre reinrassigen Artgenossen. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass ein Risiko für bekannte rassebedingte Erbkrankheiten besteht und mittels artgerechter Zucht minimiert werden kann und muss. Bei Mischlingshunden lässt sich diesbezüglich das Risiko für bestimmte Krankheitsbilder nicht vorhersagen.

Unser Mythos vom kerngesunden Mischling bleibt also genau das: Ein Mythos. Vielleicht ist die Promenadenmischung tatsächlich gesund und munter, vielleicht schlummert in ihr aber auch eine erbbedingte Krankheit, von der wir nur nichts wissen. Mischlinge sind also nicht unbedingt gesünder, sondern eher eine genetische Wundertüte.

Abschließend bleibt zu sagen: Die Gesundheit unserer Hunde wurzelt zwar in den genetischen Grundlagen, doch auch Haltung und Ernährung bilden einen wesentlichen Bestandteil der Gesundheit unserer Hunde – und spätestens da ist jeder Hundehalter selbstständig in der Pflicht!

Wau, das war’s für heute!

Ein Gedanke zu “Mythen-Mittwoch: Mischlinge sind gesünder als Rassehunde!”

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